18. April 2024

Vitamine und gesunde Ernährung: der Unsinn

Immer wieder kommt es vor, dass in den Tageszeitungen großformatige Anzeigen geschaltet werden, die dem Thema Gesundheit gewidmet sind. Das ist gut so. Der interessierte, aber meist wenig kritische Leser aber liest den Artikel, der oft nicht leicht als “Anzeige” einzuordnen ist und für ein Produkt zur Erhaltung der Gesundheit wirbt. Der Leser sieht das als seriösen und wissenschaftlich fundierten Beitrag. Das war kürzlich in einer Tageszeitung der Fall, in der ganzseitig ein Vitaminsaft angepriesen wurde, dessen Einsatz für praktisch alle vermuteten und existenten Leiden in Frage kam – auch natürlich für Herzkreislaufkrankheiten. Inzwischen werden solche Anzeigen auch durch Literatur-Fußnoten angereichert, was die Seriosität unterstreichen soll.

Der Autor dieses Beitrages hat sich die Mühe gemacht, den ganzseitigen Artikel zu studieren und sich auch die Fußnoten genauer anzusehen. Was war das Ziel dieser Vitamininformation? Klar, zunächst mal ist das Ziel immer, die Verkaufszahlen zu steigern. Da ist den Machern und den Firmen jedes Mittel recht, selbst wenn man aus der Sicht der Hersteller einräumt, dass es sich um eine verständliche Zielsetzung handelt. Es geht um einen Multivitamin-Saft mit einem Sud fast aller Vitamine und Spurenelemente, also um ein Gebräu, das man als Nahrungsergänzung in Verkehr bringen kann.

Ernährungswissenschaftler weisen immer wieder darauf hin, dass die Vitaminzufuhr der heutigen Nahrungsmittel den täglichen Bedarf des Körpers mehr als genug ausgleicht. Vitaminmangel ist heute eine eher seltene Konstellation. Die zusätzlichen Angebote sind daher nur in Ausnahmesituationen, wie Hunger oder sog. konsumierende Tumorkrankheiten, möglich und vielleicht dann auch lebensnotwendig.

Eine zusätzliche Vitaminzufuhr ist von fragwürdigem Nutzen, und eine Überdosierung ist möglich. Bekannt sind Überdosierungen von B9, C, A. Es können Tumorerkrankungen, Lähmungserscheinungen, Calciumvergiftungen und bei Kleinkindern Zerfall der roten Blutkörperchen. Also ist die Gabe von komplexen Vitaminsäften bedenklich und sollte nicht empfohlen werden. Hinzu kommt, dass der trügerische Eindruck erweckt wird, man habe nun alles für seine Gesundheit getan und brauche allfällige Symptome nicht mehr ernst zu nehmen. Das aber ist trügerisch und kann böse enden.

Die empfohlene Zubereitung enthält eine Vielzahl von Komponenten: Eisen, Selen, Zink, Kupfer, die Vitamine des sog. B-Komplexes (B1, B6, B12), C, A, D, K und Folsäure (B9). Für alle diese Substanzen ist der Nachweis eines prophylaktischen Nutzens bist nicht erbracht worden. Es fehlt jede Evidenz.

Bei den Spurenelementen – Zink, Kupfer, Selen etc., ist das nicht anders. Sie sind zwar notwenig, ein Mangel sollte ersetzt werden, doch fehlen wiederum alle Hinweise auf eine wissenschaftliche Evidenz.

Wie steht es nun mit den so genannten wissenschaftlichen Beweisen? Es werden insgesamt vier Verweise angeboten. Eine davon bezieht sich auf eine Erklärung aus der orthomolekularen Medizin. Was ist das? Dabei handelt es ich um eine von Linus Pauling (Nobelpreisträger für Chemie) definierte medizinische Richtung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, bereits vorhanden Bausteine der menschlichen Substanz so zu unterstützen, dass sie zur Gesunderhaltung beitragen. Das ist die Basis des Artikels. Dieser medizinische Richtung fehlt aber jede Evidenz, sie kann deshalb schlechterdings nicht zur ihrer Begründung herangezogen werden.

Die anderen Verweise sind einmal Sicherheitsprüfungen, bei denen klar ist dass die Mittel in der angebieten Dosierung als “sicher” gelten können und zumindest keinen Schaden anrichten können. Zum andern weisen die Autoren auf die bekannte Tatsache hin, dass zu wenig Obst und Gemüse gegessen wird. Das ist wahr und betrüblich. Doch ob das schon begründet, mehr Spurenelemente zu sich zu nehmen, bleibe dahingestellt.

Das Fazit lautet daher: solche Anzeigen enthalten weitgehend Unsinn und führen und verführen in die Irre. Sie sind unseriös. Tageszeitungen, die aus Gründen ihrer Blattfinanzierung auf solche Anzeigen nicht verzichten können, sollten ihr Geschäftsmodell überprüfen. Denn dann sind sie potentiell ähnlich unseriös wie die Produkte, die beworben werden.

Saarbrücker Zeitung v. 2.12.2022

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert