28. März 2024

Herzmedizin im Dritten Reich


Nürnberger Ärzteprozess 1947, Dr. Brandt, Leibarzt Hitlers im Bild

Das “Dritte oder Tausendjährige Reich” des Nationalsozialismus, das den Deutschen über 12 Jahre hinweg ihre geschichtliche und nationale Identität und ihren Patriotismus gestohlen hat, war ein System, das in alle menschlichen Lebensbereiche zerstörerisch hineingewirkt hat. Auch die Medizin hat sich dem System mehr oder weniger leichtfertig unterworfen und viele Fragen auch für den heutigen Menschen und Arzt sind offen:

Warum konnte dieses System mit seiner anfangs überzeugenden Idee der Verbindung von national und sozial so effizient sein?
Warum ist die verbrecherische Grundeigenschaft der herrschenden Clique so spät (oder gar nicht) erkannt worden?

Warum konnten sich humane ärztliche, humanistische, ja sogar religiöse Gruppierungen dem fast nicht entziehen?

Diese Fragen sind offenbar weder damals (nach dem “Zusammenbruch”) noch bis heute befriedigend beantwortet worden. Was hat unsere Eltern und Großeltern bewegt? Und: wäre sowas auch heute noch möglich?
Gerade ärztliche Gruppierungen wie die moderne DGK haben erst spät, mehr als 70 Jahre danach, mit einer “Aufarbeitung” begonnen. Diese kann nie abgeschlossen oder vergessen sein.

Unsere vergessende deutsche Gesellschaft leidet daran. Bis heute.

Offenbar wissen deutsche Medizinstudenten heute über die NS-Zeit ihrer Berufskollegen und der Medizin wenig oder nichts. Dabei ist die Medizin, die Innere und damit auch die (damals nicht nicht existente) Kardiologie in dieser Zeit mit dem Regime eine Zweckverbindung eingegangen, die sowohl dem wissenschaftlichen Fortkommen als auch der persönlichen Karriere – auch in der SS – diente. 45% aller Ärzte traten nach 1933 der NSDAP bei, auch der Charité-Chef und Chirurg Sauerbruch. Sie waren von Grund auf antisemitisch und “rassebewusst”. Einige von ihnen, aber längst nicht alle, wurden in den so genannten Nürnberger Ärzteprozessen 1947 zur Verantwortung gezogen. Es handelte sich um 23 Ärzte, von denen sieben zum Tode verurteilt wurden.

Bei den “kriegswichtigen” Versuchen, die kreislaufmedizinisch interessant waren, und die “wissenschaftlich” begleitet wurden, handelte es sich um Unterdruck-, Unterkühlungs- und Meerwasserversuche, bei denen die “Probanden” extremen Bedingungen, z.B. einem Sturz aus 20.000 km Höhe, ausgesetzt wurden und die zwangsläufig der Tod des Probanden zur Folge hatten. Hier waren Internisten und Kreislaufforscher wie Romberg, Ruff und Schütz am Werke, die mangels Beweisen aber im Prozess freigesprochen wurden. Interessant ist auch, dass 1948 die Internisten Oehme, Heilmeyer und Schön – alles renommierte Ordinarien – den Sachverhalt der Meerwasserversuche (die Probanden mussten chemisch entsalztes Wasser trinken) erneut untersuchten und schlossen, dass hier verbrecherische Merkmale nicht nachzuweisen waren, da die Probanden nicht zu Tode kamen…

(später Deutsche Gesellschaft für Kardiologie, Herz- und Kreislaufforschung; DGK)

Welche Rolle hat die durch Bruno Kisch 1927 gegründete Gesellschaft in den unseligen Zeiten von 1933 bis 1945 gespielt? Wie verstrickt war sie in dieser Zeit? Haben Ärzte der Gesellschaft an unmenschlichen Menschen-Versuchen während des Krieges teilgenommen?

Diese Fragen zusammen mit der Aufarbeitung der personalen Verflechtung und Verstrickung Einzelner wurde spät, aber immerhin im Jahre 2017 durch den Historiker Timo Baumann zum Thema eines Buches gemacht. Dessen Fazit ist einmal, dass die Gesellschaft sich 1934 – also recht früh – “arisierte”, aber den jüdischen Vorstand einschließlich Bruno Kischs nicht ausschloss. Dieser hatte die Gelegenheit, 1938 nach den USA auszuwandern, wo er sich eine neue medizinische Karriere aufbauen konnte. Eine zusammenfassende Würdigung der Person Kisch hat Schaper (Z. Kardiol. 1995, 84, Suppl.4; 1-10) verfasst, die auch auf die erheblichen Schwierigkeiten der Immigranten im damaligen New York eingeht. Dies ist verwunderlich, denn die jüdische Diaspora in NYC war doch eigentlich sehr stark. Er gründete mit aus diesen Gründen das “american college of cardiology – ACC”, dessen Präsident er für 2 Jahre war.

Zum Anderen gibt es durchaus eine Verstrickung der DGK-Gründungsväter mit dem Nationalsozialismus, die nicht ohne Bedeutung für die Würdigung der Gesellschaft in dieser Zeit bleiben muss, selbst wenn diese Gründer heute nicht mehr befragt und belangt werden können, da sie nun einmal nicht mehr leben..

Aber: Mitglieder der Gesellschaft waren mehr und mehr in die “wissenschaftlichen” Anforderungen von übergeordneten Dienststellen, etwa der SS, eingebunden, besonders als 1939 der Krieg begann. Es sollte nämlich die “Nützlichkeit” der Gesellschaft für den NS-Staat nachgewiesen werden. Thauer, Wezler und Schütz nahmen flugmedizinische Versuche an KZ-Insassen vor.

Unterduckexperiment KZ Dachau.jpg
Höhen-Experiment d.Sigmund Rascher Arzt in Dachau (1945)

Der spätere renommierte Freiburger Pathologe Büchner und Mitglied der Gesellschaft berichtete über Kälteversuchen auch an KZ-Insassen. Alles das zeigt, dass die Verstrickung der Gesellschaft vorhanden war und ihre Teilnahme an Verbrechen gegen die Menschlichkeit einen durchaus bemerkenswerten Stellenwert hatte. Es wird dies immer noch nicht gebührend berücksichtigt, sodass im Historischen Archiv der DGK fast alle Hinweise auf diese Teile der Gesellschaftsgeschichte fast völlig fehlen.

Baumann schreibt: “Nach 1945 blieb – wie in weiten Teilen der deutschen Nachkriegsgesellschaft – auch in der Gesellschaft für Kreislaufforschung eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen jüngsten Vergangenheit weitgehend aus.”

Das wurde nun 2017 – 72 Jahre nach der Befreiung vom NS-Regime – nachgeholt. Zu spät? Vielleicht spät, aber lieber spät als nie…


Historisches Archiv der DGK